Mittwoch, 25. Mai 2016

text /// Der Himmel zwischen Hamburg und hier.


Tausend Kiefern pro Sekunde ziehen hinter der Scheibe an mir vorbei. Mein Blick schafft es nicht auch nur an einer hängen zu bleiben, und so verschwimmt das Bild auf der anderen Seite des Fensters zu einem flüchtigen Matsch aus Grün und Braun und trübem Dämmerlicht. Ich schmecke noch Hamburg auf meiner Zungenspitze und spüre die schwere Elbe in meiner Lunge. Einatmen. Und hinter mir wird der Norden dieses Landes kleiner und versinkt in azurblau und gold. Und der Himmel zwischen Hamburg und hier leuchtet, als hätte er sich dich zum Vorbild genommen. Und dann schlägt mein Herz, flüstert Olli Schulz durch den Waggon. Die Gewitterwolken schieben sich von Süden heran und bringen die Luft zum Vibrieren. Angespannt warte ich auf die ersten Explosionen in den Wolken, in deren Richtung sich der Zug unbändig durch die schwere, warme Frühlingsluft bohrt. Das Flirren am Himmel erinnert mich an dich und ein zu Hause, das es niemals gab. Obwohl sich alles nach einer endlosen Reise anfühlt, habe ich das Heimkehren nicht vermisst.


Doch der Himmel zwischen Hamburg und hier belehrt mich eines Besseren. Ein Ringen zwischen Fernweh und Heimweh, wie es nur tief drinnen im Bauch entsteht, zwischen alles Können und nichts Wollen und alles Wollen und nichts Können, lässt mich müde werden. Jeder Kilometer auf den Gleisen Richtung Süden lähmt meine Gedanken. Als wären am Ostbahnhof schon Koffer für mich gepackt, als stünde irgendwo eine Tasche für mich zur Abholung bereit. Mit einem One-Way-Ticket nach Bologna und einem zerschlissenen Umschlag aus einer längst verlebten Zeit. Die säuberlich geschriebene Widmung darauf liest sich kurz: „Komm gut an!“. Und der Himmel umarmt mich und schläfert mich ein. Die letzte Nordsonne verschwindet zwischen den Wäldern und überlässt dem Regen das Feld. Und der Schaffner stempelt mein Ticket nach Berlin, nur vielleicht nie mehr zu dir. Ausatmen.

Und der Himmel zwischen Hamburg und hier wirkt verlassen, wenn ich am Fenster stehe und in die Nacht über den verregneten Dächern der Stadt schaue. Und während die Asche meiner Zigarette in Pirouetten auf die nasse Straße fällt, holt mich die Erinnerung an deine warme Haut ein, als würdest du vor mir stehen. Ganz nah, aber zu weit weg für Haut auf Haut. Als würde ich versuchen, meinen Ellenbogen mit der Nasenspitze zu berühren. Immer und immer wieder. Lächerlich aussehend doch noch immer entschlossen. Bis die Krämpfe einsetzen.

Irgendwann angekommen sein, irgendwo. Zur falschen Zeit am richtigen Ort. Die Hände zu Fäusten geballt aber eng umschlungen, sodass einen Moment lang kein Zweifel zwischen deine und meine Fingerspitzen passt. Vielleicht ein trotziges Lächeln im Gesicht, während die Häuser um uns herum verwittern und langsam der Putz von der Zimmerdecke hinter uns bröckelt. Weil alles möglich ist. Am Scheideweg stehen und sich blind entscheiden – einfach mal machen und nicht wissen wozu. Und nicht wissen weshalb. In der Luft liegt ein Gefühl von Absprung, während die Blitze durch die Dunkelheit zucken und mich für einen Moment vergessen lassen, dass alles um unsere müden Silhouetten im Schatten zu liegen scheint. Du strahlst so hell und schön im elektrischen Flimmern, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Weil ich dich immer wieder ansehen will.

Abspringen und schweben. Durch den Himmel zwischen Hamburg und dir, um einen Grund zu haben  dem Grollen der Welt weiter zuzusehen und zu bleiben. Deinen Kopf an meiner Schulter wissen und für morgen keine Pläne machen. Schweigen und den Moment zwischen Blitz und Donner unter der Bettdecke verbringen. Bevor uns die Luft ausgeht und die Federn unserer Flügel in Pirouetten zu Boden gleiten. Bevor uns das Gepäck voneinander entfernt. Am Ende steht ein Fall mit fremden blauen Flecken – nichts, was es nicht schon zu überleben gab auf dem Weg bis hier hin.

Der Himmel zwischen Hamburg und hier blitzt und zuckt. Und das Aussteigen am Ostbahnhof fällt mir schwer. An der Elbe sah der Himmel noch anders aus. Und trotzdem bin ich irgendwo angekommen. Niemand erwartet mich auf dem Bahnsteig, also warte ich. Und wenn du irgendwann angekommen bist, unter einem Himmel zwischen dir und hier, der für dich leuchtet, dann schreibe ich dir eine Karte aus Bologna. Versprochen.







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