Tausend Kiefern pro Sekunde ziehen hinter der Scheibe an mir vorbei. Mein Blick schafft es nicht auch nur an einer hängen zu bleiben, und so verschwimmt das Bild auf der anderen Seite des Fensters zu einem flüchtigen Matsch aus Grün und Braun und trübem Dämmerlicht. Ich schmecke noch Hamburg auf meiner Zungenspitze und spüre die schwere Elbe in meiner Lunge. Einatmen. Und hinter mir wird der Norden dieses Landes kleiner und versinkt in azurblau und gold. Und der Himmel zwischen Hamburg und hier leuchtet, als hätte er sich dich zum Vorbild genommen. Und dann schlägt mein Herz, flüstert Olli Schulz durch den Waggon. Die Gewitterwolken schieben sich von Süden heran und bringen die Luft zum Vibrieren. Angespannt warte ich auf die ersten Explosionen in den Wolken, in deren Richtung sich der Zug unbändig durch die schwere, warme Frühlingsluft bohrt. Das Flirren am Himmel erinnert mich an dich und ein zu Hause, das es niemals gab. Obwohl sich alles nach einer endlosen Reise anfühlt, habe ich das Heimkehren nicht vermisst.
Doch der Himmel zwischen Hamburg
und hier belehrt mich eines Besseren. Ein Ringen zwischen Fernweh und Heimweh,
wie es nur tief drinnen im Bauch entsteht, zwischen alles Können und nichts
Wollen und alles Wollen und nichts Können, lässt mich müde werden. Jeder
Kilometer auf den Gleisen Richtung Süden lähmt meine Gedanken. Als wären am
Ostbahnhof schon Koffer für mich gepackt, als stünde irgendwo eine Tasche für
mich zur Abholung bereit. Mit einem One-Way-Ticket nach Bologna und einem zerschlissenen
Umschlag aus einer längst verlebten Zeit. Die säuberlich geschriebene Widmung
darauf liest sich kurz: „Komm gut an!“. Und der Himmel umarmt mich und
schläfert mich ein. Die letzte Nordsonne verschwindet zwischen den Wäldern und
überlässt dem Regen das Feld. Und der Schaffner stempelt mein Ticket nach
Berlin, nur vielleicht nie mehr zu dir. Ausatmen.
Und der Himmel zwischen Hamburg
und hier wirkt verlassen, wenn ich am Fenster stehe und in die Nacht über den
verregneten Dächern der Stadt schaue. Und während die Asche meiner Zigarette in
Pirouetten auf die nasse Straße fällt, holt mich die Erinnerung an deine warme
Haut ein, als würdest du vor mir stehen. Ganz nah, aber zu weit weg für Haut
auf Haut. Als würde ich versuchen, meinen Ellenbogen mit der Nasenspitze zu berühren.
Immer und immer wieder. Lächerlich aussehend doch noch immer entschlossen. Bis
die Krämpfe einsetzen.
Irgendwann angekommen sein,
irgendwo. Zur falschen Zeit am richtigen Ort. Die Hände zu Fäusten geballt aber
eng umschlungen, sodass einen Moment lang kein Zweifel zwischen deine und meine
Fingerspitzen passt. Vielleicht ein trotziges Lächeln im Gesicht, während die
Häuser um uns herum verwittern und langsam der Putz von der Zimmerdecke hinter
uns bröckelt. Weil alles möglich ist. Am Scheideweg stehen und sich blind
entscheiden – einfach mal machen und nicht wissen wozu. Und nicht wissen
weshalb. In der Luft liegt ein Gefühl von Absprung, während die Blitze durch
die Dunkelheit zucken und mich für einen Moment vergessen lassen, dass alles um
unsere müden Silhouetten im Schatten zu liegen scheint. Du strahlst so hell und
schön im elektrischen Flimmern, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Weil
ich dich immer wieder ansehen will.
Abspringen und schweben. Durch
den Himmel zwischen Hamburg und dir, um einen Grund zu haben dem Grollen der Welt weiter zuzusehen und zu
bleiben. Deinen Kopf an meiner Schulter wissen und für morgen keine Pläne
machen. Schweigen und den Moment zwischen Blitz und Donner unter der Bettdecke
verbringen. Bevor uns die Luft ausgeht und die Federn unserer Flügel in
Pirouetten zu Boden gleiten. Bevor uns das Gepäck voneinander entfernt. Am Ende
steht ein Fall mit fremden blauen Flecken – nichts, was es nicht schon zu
überleben gab auf dem Weg bis hier hin.
Der Himmel zwischen Hamburg und
hier blitzt und zuckt. Und das Aussteigen am Ostbahnhof fällt mir schwer. An
der Elbe sah der Himmel noch anders aus. Und trotzdem bin ich irgendwo
angekommen. Niemand erwartet mich auf dem Bahnsteig, also warte ich. Und wenn
du irgendwann angekommen bist, unter einem Himmel zwischen dir und hier, der
für dich leuchtet, dann schreibe ich dir eine Karte aus Bologna. Versprochen.
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