Mittwoch, 16. April 2014

text /// Hoffnung.

Du bist den ganzen Weg gerannt. Und es hat die ganze Zeit geregnet. Dicke, runde Tropfen fielen wie trunkene Hummeln zu Boden und hinterließen seelengroße Krater links und rechts deiner zitternden Schritte. Saurer Regen rann dir über die Haut und brannte sich zwischen Augen und Herz tief in das Fleisch deines Körpers, den du so tapfer immer weiter nach vorne triebst. Und das Brennen deiner Lungen hielt dich wach, und das Pochen in deinen Schläfen gab deinen Beinen einen Takt. Einen Takt der Jahrmillionen überdauern könne, dachtest du.

Ein Weg, gepflastert mit Scherben aus Schweiß und Blut tat sich hinter dir auf und verschwand vor dir in einer dünnen Linie am Horizont. Es war immer die Krümmung der Welt und Gezeiten, die dir die Sicht auf dein Ziel vorenthielten und dich zweifeln ließen, dich zum Umkehren und Aufgeben zwingen wollten. Doch du bist den ganzen Weg gerannt. Mit nassen Haaren und Wasser in den Augen, mit Krämpfen in den Waden und einem Geschwür im Magen, groß wie ein Leben und traurig wie ein Bildnis von van Gogh. Aller von dir abgeworfener Ballast ließ dich schwinden, im fahlen Lichtspiel von dunkler Sonne und hellen Blitzen, ließ dich dünner werden. Mit jedem Ausatmen löste sich ein Teil deiner Selbst in Staub auf, sodass du das Atmen aufgabst und luftlos nach Hilfe schriest. Doch keiner hörte zu. Denn niemand war da. Und es hat die ganze Zeit geregnet. Und du bist den ganzen Weg gerannt.


Als der klebende Schlamm deine Schuhe verdaute, legtest du sie an den Rand des Weges zum Sterben. Als sich die Nähte deiner Kleider lösten, übergabst du sie der sauren Luft und sahst, wie der Wind sie in die Wolken zu sich holte. Nackt stolpertest du voran – krank, wund, gebrochen – und ließest nicht ab von deinem Ziel. Einen Traum im Hinterkopf, hast du dich immer wieder umgeschaut um zu sehen, ob dir nicht doch jemand folgen würde. Doch hinter dir lag nichts – und vor dir lag noch mehr davon. Und du bist gelaufen, so schnell der Takt es dir vorgab. Der Takt der Jahrmillionen, den es zu bezwingen galt. Dessen monotones Grollen du dir eingeprägt hattest, seit er dich zum ersten Mal aus dem Schlaf gerissen, aber nicht aufwachen lassen hat. Und stets war es die Dämmerung, die dir Mut gab. Nie wurde die Nacht so finster, wie sie war, bevor du anfingst zu Laufen. Und es hat die ganze Zeit geregnet.

Und dein Blut kochte, und deine Haut dampfte, und deine Augen waren das einzig Klare im Umkreis von Meilen und Kilometern, Jahren und Leben als ich dich kommen sah. Nie wusste ich, dass etwas so Zerbrechlichem so viel Kraft innewohnen könnte, ohne dass die Hülle zerspringen und sich auflösen und erlöschen müsste. Du hieltest die Stärke von eintausend Schicksalen in einer Kugel aus Papier gefangen und auf jeden Riss legtest du einen deiner dünnen Finger, um nicht zu zerbersten. Kein Finger war mehr frei als ich dich bei der Hand nehmen wollte. Und doch bist du den ganzen Weg gerannt.

Du hast mir leise den Takt der Jahrmillionen zugeflüstert und wurdest dabei dünner und dünner.
'Irgendwann wirst du wieder atmen können – am Ende, spätestens', sagte ich mehr zu mir als zu dir und verlor die Worte an den Regen.
Und dann hab ich dich verloren. Irgendwo auf dem Weg.
Und du bist den ganzen Weg gerannt. Und es hat die ganze Zeit geregnet. Bis du irgendwann das Ende erreichst und atmen kannst – versprochen.






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