„Nur schlafen kann ich nicht. Da ist
noch zu viel. Zu viel haben wir einfach nie gesagt. Zu viel steht im
Raum und egal welche Schulter ich voran drücke, ich hab immer das
Gefühl, ich kann mich nicht vorbei zwängen. Auf zwanzig
Quadratmetern steht sie mir im Weg und grinst zwischen Einbauküche
und Couch so lieblich. Sonnendurchtränkt steht sie vor mir im Dunkel
und unter einer Haarsträhne blitzen ihre Augen mich an, während sie
sich ganz langsam in den luftleeren Raum zwischen mir und der Tür
schiebt. Es gibt kein Entkommen. Kein Weg vorbei. Nur kalte Mauern
oder warme Haut und die Wahl zwischen beiden sollte mir nicht schwer
fallen – doch irgendwie tut sie es.
Atemlos, wie nach tausend Stufen, stehe
ich nur Millimeter vor ihr, spüre ihren Atem und das Glitzern ihrer
Gedanken und bin geblendet von der Farbe ihrer Haut. Ihre bloße
Anwesenheit lässt mich zittern, gedankenverloren Löcher im Raum
zählen und butterweich auf Zahnstochern einen Schritt neben den
anderen setzen. So fühlt man sich also im Maul vom Wal. Meine
Harpune hab ich schon lange an den Nagel gehängt. Waffenlos zwingt
mich die Enge zum Rückzug, oder eben zum selbstlosen Angriff nach
vorn. Die Gezeiten sind schon lange über uns eingebrochen, haben uns
mehrfach in Ebbe und Flut an Strand und Sandbank gespült und uns
Salz und Wasser und Tran und Sand schmecken lassen. Doch nicht alles,
was den Wellen unterliegt wird abgerundet und weich und zu einer
matten Scherbe im Sand – aller Ecken und Kanten beraubt und ohne
tiefe Schnitte im Fleisch Richtung Sonne streckbar. Unser
Scherben-Kaleidoskop funkelt und bricht die Farben so wie wir es
wollen, doch bilden die Schatten ihre Fratzen an den kahlen Wänden
der heruntergelassenen Rolläden und ich spüre nur Zweifel und will
flüchten. Flucht ist kein Ausweg. Eine Flucht vor ihr kann nicht der
einzige Weg sein, um zu flüchten – vor mir. Dabei will ich nicht
weg. Ich will gar nicht weg. Eigentlich, eigentlich will ich nur viel
näher zu ihr. Es geht nur nicht. Und ich weiß nicht warum.“
Er reicht mir die Selbstgedrehte Grüne
und schenkt uns beiden das Glas halbvoll ein. Seine Augen starren an
die vergilbte Tapete, als er sich auf dem Sofa zurücklehnt. Ich nehme einen Schluck und schicke
eine Rauchwolke auf die Reise. „Weißt du was ich meine?“
Seine Frage wabbert lange zwischen
Schnaps und Qualm im Raum. Wir haben Zeit. So unendlich viel Zeit,
scheint es. 'Wie sind wir von Moby Dick jetzt dahin
gekommen?', frage ich mich. Als es mir einfällt, nicke ich
gedankenverloren und nippe am Glas. Brennend erinnert mich meine
Zunge an meinen Wecker und die tickende Uhr über dem Türrahmen. „Wenigstens einer“, höre ich ihn
sagen.
Ich kneife die Augen zusammen und hebe
mein Glas. Seine Augen sind geschlossen, sein Bart saugt gerade eine
Träne auf. Eine Träne, groß wie ein Wal.
Er ist der Wal –
schwerfällig und verlässlich, gutmütig und verletzlich. Und ich
kann ihn nicht retten. Weil manchmal kein Rat besser ist. Zumindest
dann, wenn er ruhigen Schlaf bringt. Und den verdient der Wal.
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