Donnerstag, 19. September 2013

text /// Mein Monolog und Reich-Ranicki.


Du redest viel.

„Schreib einen Text über die Liebe. Die wahre Liebe. Wie du sie fühlst. Wie du sie siehst. Wie es sich anfühlt, verliebt zu sein. Wie er sich anfühlt, der erste Moment, in dem man sich küsst und umarmt und in die Augen sieht. Über diesen Moment, in dem die Zeit stehen bleibt und die Blumen verwelken, weil man sich tagelang bedingungslos fickt und nicht mehr aus dem Bett kommt. Schreib über deine Gedanken wenn du dein Mädchen morgens siehst und deine Träume, wenn sie nachts neben dir liegt und du sie in den Armen hältst. Darüber, wie du ihre Klamotten in deinem Bad rumliegen siehst und sie ihre Zahnbürste neben deine auf die Waschmaschine legt. Du könntest darüber schreiben, wie sie dir morgens ungeschminkt Kaffee ans Bett bringt und dein Herz einen Satz macht, wenn ihr gemeinsam Filme guckt und du sie atmen hörst und ihre Haut nach Lieblichkeit duftet. Wie warm ihre Haut ist und wie perfekt ihr Arsch in diesen knappen Shorts aussieht. Schreib, wie eure Kinder in Jahren durchs Haus rennen, ihr gemeinsam Urlaub macht, die Elternsprechstunde besucht oder im verdammten Center Park die Wasserrutsche zusammen runter fahrt. Aber verdammt, schreib irgendwas über die Liebe. Das inspiriert doch.“

Du nimmst einen kräftigen Schluck Bier. Ich nippe an meinem Whisky. Die Zigarette verglüht im Aschenbecher. Blau flimmert der Bildschirm.


„Dann schreib halt über den Tod. Stell dir vor jemand stirbt, oder du müsstest sterben. Ist vielleicht kein leichtes Thema aber immerhin gibt’s da Einiges zu schreiben. Du hast doch schon ein paar Texte über den Tod geschrieben. Vielleicht ein Selbstmord – oder nur Mord. Du sollst ja keinen Krimi schreiben. Vielleicht über eine Beerdigungsszene, aus der Sicht deiner Mutter. Oder irgendeiner Mutter. Oder aus deiner Sicht.  Also so was über den Verlust eines Angehörigen vielleicht, nicht dass ich dir das Wünsche.“

Du klopfst mit einer ausschweifenden Geste drei Mal auf den Holztisch vor dem Sofa. Markus Lanz grinst debil. Du grinst debil. Ich grinse – debil. Bei uns beiden ist das der halbleeren Flasche Fusel geschuldet, bei Lanz bin ich mir nicht sicher. Du atmest dicken Rauch aus.

„Vielleicht sind Liebe und Tod schon ausgelutschte Themen, klar. Aber ich meine, damit kennt sich doch jeder aus. Letztendlich lässt sich doch alles darauf zurückführen, oder wenigstens runter brechen. Oder zumindest, ja ich weiß auch nicht, zumindest liegt da der Ursprung allen Übels. Und auch der Ursprung von allen guten Sachen. In der Liebe, mein ich. Darüber könntest du doch schreiben. Das wird nie langweilig. Das haben Shakespeare und Goethe auch nicht anders gemacht.“

Mir ist kalt. Ich schließe das Fenster und schenke uns daraufhin noch ein Glas ein. Zwei Finger breit. Zwei dicke Finger breit. Ordentlich also.

„Schon Marcel hat gesagt, dass die Literatur nur zwei Themen kennt: die Liebe und den Tod.“

Er meinte damit die 'große Literatur' denke ich noch und leere das Glas. Shakespeare. Goethe. Und dann auch noch Reich-Ranicki. Vergleiche, die einer Erklärung nicht bedürfen. Die nicht einmal einen Vergleich zulassen. Aus gutem Grund.

„Aber ich glaube, dass jede Art von Literatur für irgendjemanden groß sein kann.“

Dummer Junge, fährt es mir durch den Kopf und ich schaue träge zu dir rüber, wie du mittlerweile kraftlos und müde in meinem Sessel sitzt und mit glasigen Augen in Richtung Fernseher schielst. Es ist Zeit, dich gehen zu lassen. Dich und deine Flausen. Dich und deine Idee von großer Literatur, die  für keinen je groß sein wird, außer vielleicht für uns, irgendwie. Irgendwann. Nach Liebe und Tod.

Die leere Seite blendet mich, der kleine schwarze Balken vor mir blinkt in der ersten Zeile. Meine Finger hüpfen über die Tasten. Zeile eins.

'Mein Monolog und Reich-Ranicki'

Ich Sau nenne mich zuerst. Unglaublich. Entschuldigung, Marcel.
Aber du hattest Recht. Es ist alles Liebe und Tod.
Und ich bin froh, dass du diesen Text darüber nie lesen musst.



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