Donnerstag, 8. August 2013

text /// Die Flucht.



24/7. Wecker. Kaffee. Bahn. Uhr. Tick. Tick. Tick. Hochhaus. Bildschirme. Mail. Kopfschmerzen. Mail. Uhr. Tick. Tick. Tick. Telefon. Hunger. Durst. Aspirin. Übelkeit. Telefonklingeln. Chef. Uhr. Tick. Tick. Tick. Lärm. Aspirin. Uhr. Tick. Tick. Tick. Bildschirme. WhatsApp. Uhr. Tick. Tick. Tick. Telefonklingeln. Bahn. Kaffee. Müll. Uhr. Tick. Tick. Tick. Bier. Bier. Bier. Whisky. Bahn. Uhr. Tick. Tick. Tick. WhatsApp. Mail. Bildschirm. Kopfschmerzen. Aspirin. Bett. Uhr. Tick. Tick. Tick. 

24/7. Wecker. Kaffee...

Flucht, schießt es ihm noch durch den Kopf während der Schwindel in ihm aufsteigt. Taubheit.


Graugrüner Nebel hängt noch über dem Tümpel. Auf seiner Haut spürt er den feinen Atem der vergangenen Nacht. Die Feuerstelle zu seiner linken ist lauwarm und wie eine sich verjüngende Säule steigt dünner Rauch in den Morgenhimmel auf. Windstille isoliert den Raum um ihn, nur das Pulsieren seines Blutes und das leise Gluckern des Rinnsals begleiten die morgendliche Ruhe. Noch im Liegen blickt er über den Boden vor sich. Erde, Grashalme, Blätter, Klee und Spitzwegerich. Dahinter Gestrüpp am Rand des Wasserlaufs, abgeknickte Schilfrohre, Seerosen und Äste einer mächtigen Weide, die tief unter die Wasseroberfläche zu reichen scheinen. Dahinter ein majestätischer Wald – sattgrün und erhaben thront er über dem jungen Morgen und spiegelt seine geheimnisvolle Dunkelheit auf der matten Oberfläche der Wasserstelle. 


Libellen schweben durch die fahlen Sonnenkegel der Aue und Bienen flanieren am Ufer. Wasserläufer hasten aufgeregt durcheinander, während sich unter ihnen hunderte Kaulquappen tummeln. Vereinzelt singen Vögel und ihm scheint, als könne er jede Bewegung um sich im Boden vibrieren hören. Das Gewürm und Getier im Boden unter ihm wummert und pulsiert. Er presst sein Ohr tiefer in das nasse Gras, verkrampft seine Hände im kühlen Mutterboden. Er spürt die Bewegung der Regenwürmer in der Tiefe, er kann die Ameisen atmen und die Maulwürfe graben hören. Er hört das geduldige Lauern der Ameisenlöwen neben sich. Er spürt das überfressende Schnarchen der Maden Er atmet tief ein. Alles riecht nach fetter, satter Erde und der Liebe und dem Hass der Natur. Nach grünem Gras und vermoderten Blättern, nach frischem Nachtwind und wärmendem Morgen. Er fühlt wie tausende Teilchen seine Schleimhäute benetzen, Gerüche die er nie zuvor wahrgenommen hatte. Gierig öffnet er den Mund und gräbt seinen Kopf tiefer in den Waldboden. Wärme durchströmt ihn beim Geschmack der jungen Erde an der Oberfläche, Wehmut durchzieht jede Faser seines Körpers, die nicht noch näher in das Erdreich eindringen kann. Er windet sich zwischen den lehmigen Klumpen, kratzt und gräbt sich in den Bauch der Aue und saugt Nahrung aus der schlammigen Erde. 


Nimmer satt inhaliert er den duftenden Schlick und das lebende Volk um sich herum, schlingt nach der unendlichen Freiheit unter der Oberfläche des Waldes und umarmt dabei mit unermüdlicher Dankbarkeit die Wurzeln der hundertjährigen Bäume. Überwältigt dreht er den Kopf und erspäht die Blätter und Wipfel der Bäume über ihm, sie wiegen sich enger und dichter als je zuvor im Licht des Himmels. Die Libellen und Bienen landen zuerst vereinzelt, dann zu Dutzenden auf seiner Haut. Fliegen, Mücken, Spinnen und Asseln sammeln sich um ihn und er labt sich an ihren Leibern, die sie ihm dankbar hingeben um eins mit ihm zu werden. Kaulquappen schleppen sich über die saftige Wiese zu ihm und bedecken seine Beine. Ameisen und Würmer, jegliches schleimige und beinige Getier gräbt Seite an Seite mit ihm und schaufelt unermüdlich im duftenden Erdreich. Seine Augen sind längst verklebt mit Dreck und dem Saft der Natur, welche ihm aus dem Boden um ihn herum entgegen schwillt. Seine Haut gleicht längst dem Waldboden, morastig ist sein Fleisch und seine Knochen weich wie die jungen Wurzeln der Sträucher um ihn herum. Sein Körper ist umhüllt von einer wimmelnden Schicht aus Leben und emsiger Arbeit. Es surrt und flirrt in seinem Kopf, es vibriert und pocht in seinen Adern. Das Stampfen des tausendfachen Getiers lässt ihn behutsam tiefer und tiefer in die Welt sacken und wärmt seinen zergehenden Körper. 


Ein letzter, zarter Sonnenstrahl trifft seine Haut und all seine Gier und Hast und Rastlosigkeit weicht einem letzten, tiefen Atemzug. Dunkelheit isoliert den Raum um ihn, nur das lebendige Pulsieren der Erde begleitet die Ruhe. Er riecht und schmeckt und fühlt und hört den Boden, schmunzelt und geht schließlich gänzlich in ihm auf.

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