Montag, 11. März 2013

text /// Die Kaputten.


Sie bricht vor ihm zusammen. Schweißgebadet. Ausgezehrt vom Leben der letzten Stunden und Tage, Wochen und Monate. In den letzten Minuten zerfiel sie vor seinen Augen, nur Zentimeter entfernt von seinen Armen – und doch konnte er ihr nicht helfen.

Sie lehnt an der kalten Mauer, die Zigarette kraftlos zwischen den Fingern. Tränen glitzern in der warmen Abendsonne und kühlen ihre hübschen Wangen. Vom Fluss zieht ein frischer Duft durch die Weiden am Ufer, die Stadt atmet aus. Ein letzter Sommerabend.

Still sitzt er neben ihr, zählt die Enten auf dem Wasser und die Kronkorken im Gras. Sein Kopf ist betäubt, seine Gliedmaßen schwer. Seine Lunge füllt sich mit Rauch, brennt, zischt und zieht. Er spürt all die Erwartungen, die ihn wie ein Mantel umschließen und seinen Kopf foltern, ihn nicht zur Ruhe kommen und ohnmächtig lassen, ihn ersticken und ihm die Knochen zersplittern. Kraftlos lässt er seine Gedanken zerfallen, begräbt seine Pläne das Schweigen zu brechen und füllt sich mit Leere – immer mehr.

"Weißt du manchmal“, sagt sie und wischt sich eine verklebte Strähne aus dem Gesicht, „ stehe ich vor unserem Bett und will nie wieder wach werden. Und manchmal beim Schwimmen tauche ich unter Wasser und will nicht mehr auftauchen. Manchmal nehme ich mir vor bei rot über die Straße zulaufen ohne zu gucken – es einfach mal drauf anzulegen.“

Ihre Stimme wird dünner, mit jedem Wort ringt sie mehr nach Fassung, kämpft um ihn.


„Und manchmal stehe ich am Gleis und hoffe, dass mich jemand im richtigen Moment schubst. Und dann wäre alles vorbei.“ Er blickt zu Boden.

„Und weißt du was mir dann beim Aufwachen, Auftauchen, Anhalten und Einsteigen trotz allem durch den Kopf geht? Du. Und dass ich dich bei mir haben will. Du sollst nicht nur neben mir sitzen, du sollst mit mir reden und dann helfen wir uns gegenseitig.“

Er nimmt ihre Hand, küsst sie und zieht sie an seine Brust.
„Ich weiß“, sagt er und blickt über die Wiese und den Fluss ans andere Ufer, „Versprich mir, dir nie etwas anzutun.“ Sie nickt und vergräbt ihren Kopf tiefer im Stoff seines Shirts.

Die Sonne steht tiefrot zwischen den Wohnhäusern, Mücken sammeln sich in den letzten Lichtkegeln. Die Familien vom Nachmittag werden abgelöst durch gut gelaunte junge Menschen mit Einweg-Grills und warmem Bier. Er legt seinen Kopf auf ihr Haar und drückt sie fester an seine Brust. „Versprichst du es mir auch?“, flüstert sie.

Und unter dem schwindenden Licht der Dämmerung und dem Gelächter der Gesunden, liegen die Kaputten, eng umschlungen im Glanz und Adel des letzten Sommerabends, bis tief in die Nacht hinein – und schweigen.

1 Kommentar:

  1. Zweifel nährt, bringt aber nicht immer ein Ende. Sehr gut geschriebene Zeilen.

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