Dienstag, 4. Dezember 2012

text /// Leere Bilderrahmen.


Wer durch Türen geht, lässt immer etwas zurück.
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Du hängst an meiner Wand in einem Bilderrahmen. Zwischen dir und der kalten Mauer ist nur Luft, durchzogen von einem dünnen Nagel, der dich zu tragen versucht. Wir haben diesen Bilderrahmen gefüllt. Sind über die Straßen und Plätze unserer Stadt gerannt, durch die Küchen und Schlafzimmer unserer Altbauwohnungen, durch Konzerthallen und Nachtklubs, über Festivals und Spreebrücken, in Bars und Kneipen und Parks und U-Bahn-Stationen. Und wir sind gerannt und gerannt, um möglichst viel von diesem Bilderrahmen zu füllen. Geschichten, Bilder und Momente bemalten das weiße Stück Papier hinter der dünnen Glasscheibe in feinen Zügen mit rot, grün und blau und gelb. Wir haben unsere Erden umsegelt und sind auf unseren Monden gelandet, haben gemeinsam Monstern ihre Herzen herausgerissen und betrunken Lieder gesungen. Und das weiße Blatt füllte sich.

Wir haben immer mit dem großen Löffel vom Leben genascht, über unsere Verhältnisse gelebt und die Morgen verflucht und bewundert, während wir ehrfürchtig vor den angelehnten Türen standen, hinter denen es unheilvoll verführerisch glänzte. Gierig breiteten wir die Arme aus um alles einsammeln zu können, was uns die Regale unserer Zeit boten, saugten es in unsere hirnlosen Köpfe und verschlossen es in Bilderrahmen an unseren weißen Wänden. Sorglos taten wir so, als würden uns die angelehnten Türen nicht interessieren und der Stillstand der Uhren war unser Zeuge. Überwältigt vom Leben und Lieben aber bemerkten wir nicht, wie nicht wir uns zu den angelehnten Türen bewegten, sondern sie sich zu uns – stets fast unbemerkbar mit kleinen Schritten, machten sie von Zeit zu Zeit einen großen Satz in unsere Richtung und engten unsere Rastlosigkeit ein.

Sorglos lebten wir in die Tage voller Rausch, Rauch und rauer See in dem Glauben, kein Ungeheuer dieser Welt sei groß genug unser Schiff zu brechen. Und während wie auf dem bunten Wasser dahin dümpelten, bemerkten wir nicht wie sich die Mauern um uns herum auftürmten und die Fesseln sich an unseren Hand- und Fußgelenken enger zogen. Wie sich Kreuze auf unsere Schultern luden und zäher Beton in unseren Adern schwoll. Erst verstauten wir den Ballast in Koffer und zogen diese an langen Leinen hinter uns her, später trugen wir ihn in offenen Wunden zu anderen Menschen, in der Hoffnung, er würde verweht.

Liebe verweht Ballast und lockt angelehnte Türen an.

Nun stehen wir zwischen weißen Wänden mit unseren bunt-gefüllten Bilderrahmen und den angelehnten Türen, die plötzlich noch heller strahlen und sanfter duften und glitzern und funkeln und scheinen. Und wir wissen, dass wir gehen müssen. Jeder in eine Tür. Doch wir wissen nicht, was sich hinter all dem Licht verbirgt und ob es wieder eine Welt für uns gibt, von der wir gemeinsam mit großen Löffeln essen können.

Was bleibt, sind die bunt-gefüllten Bilderrahmen an unseren alten weißen Wänden mit all den Erinnerungen an gestern.

Was kommt, sind nur leere Bilderrahmen.

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