Dienstag, 11. September 2012

text /// Am Boden. Zweiter Teil.


Ich wische mir, immer noch in derselben embryonalen Haltung ausharrend, den Schleim von der Nase und versuche klar zu denken.

Als ich wieder zu mir komme, klebt meine Wange am körperwarmen Fußboden fest. Ein sabbriger Faden hängt mir über der Nase. Es riecht bitter und sauer, warm und beißend. Ich schmecke nichts, aber das ist vermutlich besser so. Mein Mund ist noch trockener als das letzte Mal bei Bewusstsein. Ich spüre meine Zunge nicht mehr. Mit einem kurzen gluckern und glucksen teste ich, ob ich überhaupt noch über so etwas wie einen halbwegs funktionierenden Überbau auf meinem Hals verfüge.

Habe ich. Ich habe einen Kopf, ich habe auch eine Stimme. Mein Hals fühlt sich an, als hätte ich eimerweise Sand und Kiesel in mich hineingeschüttet und dann mit einem Heißluftgebläse an der Innenseite meiner Speise- und Luftröhre zu einem sandpapierartigen, breiigen Wandbelag getrocknet. Ein Königreich für ein Glas Wasser, denke ich. Ich wische mir, immer noch in derselben embryonalen Haltung ausharrend, den Schleim von der Nase und versuche klar zu denken. Ich bin aufgewacht, zweimal wieder umgefallen und nun wieder aufgewacht. Eine Erfolgsausbeute wie ein pickliger, siebzehnjähriger Naturwissenschaftler auf Frauenjagd in der Dorfdisko, denke ich. Anscheinend hab ich also wieder hier gelegen. Ich kneife meine Augen zusammen, obwohl um mich herum alles schwarz ist. Angestrengt vom Konzentrieren beginnt mein Kopf zu pulsieren. Wellenförmig breitet sich der Schmerz von rechts nach links und wieder zurück in meinem Kopf aus. Nachdenken. Erinnern. Kombinieren. Kombinieren erscheint mir das Einfachste. Ich kombiniere also: ich liege, vermutlich einmal von oben bis unten mit Schleim und Exkrementen überschüttet, auf hartem Stein, oder Fliesen. Mit meinem Kopf liege ich auf jeden Fall in Exkrementen, die Konsistenz lässt auf Kotze oder Durchfall schließen. Ich entscheide mich für die Kotze, es riecht einfach nicht nach Kacke. Mein Kopf tut weh. Meine Hand tut weh. Meine Eier tun weh. Eigentlich tut alles irgendwie weh, sobald ich einen Muskel anspanne ziehen alle anderen aus Solidarität mit und durchziehen mein komplettes Nervensystem mit abertausenden Schmerzmeldungen, vom Haaransatz bis zum Zehennagel. Ich schließe die Kombination ab.

Die Erkenntnis ist ernüchternd. Ich liege immer noch in einem stickigen Zimmer, schwimme in – hoffentlich meinem eigenen – schleimigen Saft und kann mich kaum bewegen. Meine linke Wange samt Bart ist durch die saure Emulsion anscheinend mit dem Fußboden verwachsen und bewegt sich keinen Zentimeter, was mir das Atmen durch den Mund erheblich erschwert. Atme ich durch die Nase, kommt mir die Kotze aufgrund des bestialischen Geruches hoch. Ein Dilemma. Aber ersticken will ich an meiner eigenen Kotze nicht, daher bevorzuge ich den Schmerz und den sich anbahnenden Verlust weiter Teile meiner Gesichtsbehaarung. Summe aller kombinierten Teile: es geht mir wahnsinnig beschissen.

Erinnern. Erinnern ist schwer. Ich erinnere mich an meine schmerzende Hand, an die Kotze. Aber das habe ich auch schon kombiniert, bringt mich also nicht weiter. Ich huste und ein kleiner Teil meiner Wange löst sich aus der Umklammerung des Bodens und gibt mir ein wenig mehr Mundfreiheit. Gott sei Dank, denke ich. Es geht aufwärts mit mir. Den ganzen Eintopf aus verschiedenen Gerüchen, Breizusammensetzungen und Konsistenzen um mich herum vergessend, fällt mir der fahle Lichtschein wieder ein. Die Rettung. Mein Anker. Das Licht auf der anderen Seite des Raumes. Ich lasse meine Augen wandern. Taste visuell alles ab, zweimal, dreimal, viermal. Kein Licht. Nur Schatten. Ich lasse meinen Blick vom dunklen Schwarz ab und atme enttäuscht aus. Nachdenken. Nachdenken. Ich muss nachdenken. Ich bin nach hinten umgefallen, allem Anschein nach bewusstlos geworden. Ein beschissen harter Gegenstand, ich bin mit dem Kopf dagegen gestoßen. Dieser beschissene Gegenstand hat sich keinen Zentimeter bewegt, ist also schwer, sollte hier stehen. Meine Gedanken fliegen in meinem zerlegten Kopf auf und ab. Mit dem rechten Arm taste ich die Fläche neben meinem Hinterkopf ab. Eine klebrige Flüssigkeit legt sich auf meine Fingerkuppen – Blut, denke ich mir. Ich hab mir den Kopf aufgeschlagen. Angestrengt taste ich weiter. Ein großer, kalter Klumpen Stein liegt nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt. Er ist glatt wie ein scheiß Babypo und im Vergleich zur öligen Luft eiskalt. Das ist der Schweinehund. Das Licht ist also direkt in meinem Rücken, hinter mir. Auf der Seite meines Körpers in dem ich keine Augen habe, wobei ich sowieso nicht in der Lage wäre meinen Leib in Bewegung zu setzen, sollte ich dort Augen haben. Meine Wange schmerzt, ich beginne zu schwitzen und zu zittern. Meine Knie werden weich, im Liegen. Ich huste. Scheiße, wie komme ich hier los? Ich kann mir doch nicht die ganze Wange abreißen, bei dem Versuch aufzustehen. Ich halte kurz inne, überlege ein paar Augenblicke. Ist es das wert? Macht das Sinn? Geht das überhaupt? Entschlossen hole ich tief Luft. Es macht keinen Unterschied mehr, denke ich. Ich ramme mir den Zeigefinger meiner rechten Hand in den Hals und würge die letzten Reste meines Magens hervor. Die warme, blasige Brühe tropft mir aus dem Mundwinkel und brennt von meiner Speiseröhre bis zu meinen Lippen tiefe Krater in meine Schleimhaut. 

Jetzt Geduld, denke ich, gleich bin ich losgelöst.

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