Sonntag, 8. Juli 2012

text /// Oder nichts von beidem?


Ich soll über dich schreiben. Wo fange ich an? Bei einer Zigarette am besten. Ich zünde mir eine an. Du rauchst nicht.
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Unsere Beziehung ist ein Schmugglerlager. Alles Hehlerware. Alles ist schon durch unzählige Hände gelaufen und wurde tausendfach berührt. Von schmutzigen Händen. Von fremden Händen. Von Händen die dir nicht gehören.

Eine Inventur ist nötig. Ich als Kopf der Schmugglerbande muss wissen, was ich auf Lager habe, und was ich noch an die Frau, an dich, bringen kann. Zum einen wären da Banalitäten, die sicher nicht schwer gewichten, solltest du mich erwischen. Vermutlich kannst du sie dir denken.

Da wäre mein Bett, in dem vor dir schon mehr als ein Dutzend Mädchen schliefen. Sie alle haben das gleiche Gefühl gehabt wie du: Geborgenheit, Wärme, Vertrauen. Du legst dich so selbstverständlich auf das Laken, welches sich ein ums andere Mal in kreisenden Bewegungen im Bauch meiner Waschmaschine drehte, nachdem ich es nach schlaflosen und alkoholisierten Nächten mit deinen Vorgängerinnen teilte. Du legst dich so selbstsicher unter meine Bettdecken, als wären sie unschuldige Wolken und dein Geruch, dein Schweiß wäre der erste, den die wollenen Fasern aufsaugten und innehielten. Dein Kopf liegt ruhig auf eben jenem Kopfkissen, dass vor dir schon Wollust gedämpft und Fingernägel gespürt hat. Ohne dass du einen Gedanken daran verlierst.

Mein Kleiderschrank. Wenn du zum Sport gehst und dir ein Shirt aus meinem Schrank nimmst und so klein und fein in meinen dir viel zu großen Nickies durch den Raum tanzt, dann verschweige ich dir, dass schon Mädchen vor dir dieses Shirt getragen haben. Ich verschweige dir, dass dieses Shirt ein Geschenk der Frau war, die vorher in anderen Shirts durch dieses Zimmer getanzt ist. Ich verschweige dir, dass noch vor wenigen Wochen andere Mädchen dieses Shirt zum Schlafen trugen. Ich verschweige dir, dass mich dieses Shirt an andere Mädchen erinnert. Ich verschweige dir, dass vielleicht Mädchen nach dir dieses Shirt lieben werden.

Du sitzt vor meinem Terrarium und beobachtest Mumpel und Mompi, meine Mitbewohner, ebenso neugierig wie abwertend durch die verschmierte, milchige Glasscheibe. Du traust dich nicht sie anzufassen. Du willst sie nicht füttern. Weder mit Würmern, noch mit Heuschrecken. Du bist wie die Mädchen vor dir: fasziniert aber distanziert. Bartagame sind eben keine Babykatzen. Du wechselst nicht einmal die Wasserschale. Ich kenne das. Von den Mädchen vor dir.

Nun zu den Herzensangelegenheiten. Angelegenheiten, die mir wichtig sind. Die mich ausmachen.

Du sitzt stundenlang vor der Anlage und hörst dir meine Musik an. Die Hälfte hast du dir auf deine Festplatte kopiert. Du findest Dan Mangan und Frank Turner unglaublich, liebst The Avett Brothers und saugst unsere Musikmomente in dich auf, als wäre da kein gestern und kein morgen. In Wahrheit verschweige ich dir, dass ich dir die gleichen schnulzigen Balladen vorspiele, die gleichen abgedroschenen Songtexte vorsinge, die gleichen Phrasen über die Musikindustrie im allgemeinen und hippe Indiebands im speziellen vorbete, die ich seit Monaten den Mädchen auf meinem Sofa predige. Ich verschweige dir, dass ausnahmslos alle Lieder die du unser Heiligtum nennst, eine Geschichte haben. Eine Geschichte vor dir, eine Geschichte die begonnen hat, als wir uns nicht kannten, eine Geschichte in meinem Kopf, die mit dir nur wenig zu tun hat. Eigentlich nichts. Gar nichts.

Und ja, ich benutze sogar die gleichen Phrasen und Wortfetzen, die gleichen kleinen, aber so wichtigen und markanten Spielweisen meiner Handlungen, wenn ich dir mich selbst vorspiele, mich vor dir in Szene setze. Ich weihe dich ein in meine zehnminütige „Chill-Out-Phase“ nach dem Sex, meine Liveauftritte als Frontsänger unter der Dusche und meine Rolle als verständnisvoller Zuhörer. Ich streiche dir, wenn du vor mir die Treppe hochgehst, sanft über deinen Arsch und finde genau deine Brüste göttlich perfekt. Ich koche gern für dich und finde es wunderbar, dass du Bier aus der Flasche trinkst und dabei die Flasche mit zwei Händen hältst. In Wahrheit habe ich all das schon oft auf den Ladentisch gepackt. Ausgepackt um mich zu verkaufen. Meist weiß ich gar nicht genau, was du gerade gesagt hast, aber ich phrasiere Weltklasse und so fällt dir das nicht auf. Ich habe schon Mädchen vor dir von der „CoP“ erzählt und lauthals unter der Dusche gesungen und danach beschämt gefragt „ob sie das wirklich gehört hätten?“. Andere Mädchen hatten auch die perfekten Titten und den schönsten Arsch beim Treppensteigen. Und bekochen lasst ihr euch alle gern. Ich verschweige dir, dass das alles schon mal da gewesen ist.

Ich verschweige dir, dass alle Elemente unserer Beziehung bis hierher, die du für elementar wichtig erachtest, leere Hüllen sind. Leere Hüllen ausgelutscht von Frauen vor dir. Hüllen deren Existenzberechtigung in unserer Beziehung nicht nur fraglich ist, sondern falsch. Und obwohl ich mir dessen bewusst bin, nutze ich jeden Tag aufs Neue Hülle um Hülle scheinheilig, um dir Nähe, Geborgenheit und Sicherheit vorzuspielen. Ich tue das, weil ich aus allem Vergangenen das Beste konservieren will. Aber ist das richtig?

Unsere Beziehung ist Hehlerware. Alles ist durch viele Hände gegangen, wurde angefasst und mit Fingerabdrücken versehen. Alles ist gebrandmarkt. Alles. Ich sollte über dich schreiben. Wozu?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, du bist Silikon. Du bist ein Lückenfüller. Du verbindest die Erinnerungen und Kanten meiner Vergangenheit, kannst sie aufnehmen und umschließen und geschmeidig dir zu Eigen machen. Aber irgendwann härtest du aus, kannst nichts mehr aufnehmen und über kurz oder lang, wenn die bitterkalte Atmosphäre der Außenwelt an dir nagt und dich zermürbt, macht dich die Ungewissheit und immerwährende klare Undeutlichkeit meiner emotionalen Kreativlosigkeit nachdenklich und kaputt. Du bröckelst und alles fühlt sich nicht komplett an, weil andere Frauen in den Wurzeln und Grundfesten unserer Beziehungen sitzen und sie wie fette, satte Nagetiere aushöhlen und untergraben.

Die andere ist: du bist Lehm. Ein Werkstoff für die Ewigkeit. Du verbindest die Erinnerungen und Kanten meiner Vergangenheit, kannst sie aufnehmen und umschließen und geschmeidig dir zu Eigen machen. Und du gibst immer wieder ein paar Tropfen mehr von dir dazu, formst alte Gedanken zu neuen, baust auf alte Erinnerungen auf und gibst jeden Tag ein Stück von deinem Leben hinzu. Du wächst an meinen Geschichten, ich wachse an deinen. Du lernst aus meinen Handlungen und ich aus deinen. Du baust als Lehm ein Fundament. Ein Fundament auf dem vier Beine stehen können, ohne dass es zerbricht, ohne dass es zerfließt. Tropfen für Tropfen. Jeden Tag. Oder?

Bist du Silikon? Oder Lehm? Oder nichts von beidem?

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